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Merkmale der sprachlichen Varietät
Varietät bedeutet zunächst einmal, dass wir innerhalb einer Sprache (z.B.
Französisch) verschiedene Gebrauchsformen unterscheiden, die sich als Summe spezifischer Charakteristika
beschreiben lassen. Solche Charakteristika finden sich auf allen Beschreibungsebenen der Sprache, etwa im
Bereich phonologisch-phonetischer Besonderheiten, bei Eigenschaften des Wortschatzes, in der Verwendung oder Nichtverwendung
beispielsweise des Konjunktivs oder in der Entwicklung spezfischer Formen sprachlichen Handelns (z.B. Gesprächsverhalten).
Das sprachliche Set von Charakteristika wirkt erst im Zusammenhang mit seiner Anbindung an eine
durch aussersprachliche Faktoren zu definierende Gruppe von Sprechern als Varietät.
Die Merkmale einer sprachlichen Varietät umfassen daher sowohl die linguistischen Parameter als auch die
sozialen Parameter. Ein Beispiel zum sprachlichen Kontinuum in der Frankophonie der Côte d´Ivoire soll dies
deutlich dokumentieren.
Ein Afrikaner etwa, dessen Mutter chiLuba spricht, die einen
kiKongo-sprechenden Mann geheiratet hat, wird in Kinshasa geboren. Dort
kommt er mit der kiKongo-Varietät des kiLeta in Kontakt, lernt bei seinem
Militärdienst das überregionale liNgala, Befehlssprache des
Militärs, sprechen. Mit dem Französischen kommt er auf Märkten,
in den verschiedenen Schultypen und vielleicht sogar an der
Universität in Berührung. Während seines Bildungsgangs erlebt er
Mehrsprachigkeit hautnah und tagtäglich. Aber auch die
Varietäten des Französischen, mit denen er in Kontakt kommt, stellen
ein sprachliches Kontinuum dar, das sehr unterschiedlich kodiert
ist.
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Afrikanische Varietätenbildung
Anhand eines standardfranzösischen Satzes
(1) lassen sich an einem Beispiel der Côte d´Ivoire die
Varietätenbildungen (2-7) nachvollziehen, die zusammen das sprachliche
Kontinuum des Französischen in mehrsprachiger Umgebung
ausmachen:
1 il serait
nécessaire de déplacer ce véhicule
2 il faut pousser l'auto
3 faut pousser c'te
bagnole
4 faut pousser
camion(là)
5 naka pousser camion là
6 aka mobili pousser
7 aka mobili nyoni
8 ke gi le ke èè
[=ça veut que pousser auto]
Jede der Varietäten 1-7 wird von einer bestimmten sozialen Gruppe mit gleichen Parametern für
ethnische Zugehörigkeit und Bildungsstatus genutzt.
Der Satz 1 entspricht dem
metropolitanen Französisch, das man an der Elfenbeinküste bei höchstem
Bildungsabschluss beherrscht. Der umgangssprachliche Satz 2 wäre auch in
Frankreich möglich. Die Variante 3 ist schon "afrikanischer" und nutzt u.a. das
Argotwort bagnole als Merkmal. In Satz 4 kann man eine afrikanische Ausdrucksweise
konstatieren, die in 5 durch das "naka" (= il n´y a qu`à) noch verstärkt wird. Hier kann
man Hinweise auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie als gemeinsames Merkmal
der Sprecher feststellen.
Variante 6 verdeutlicht den Bildungsabstand des "frankophonen" Sprechers,
der in 7 bereits den Einfluss der Lexik aus dem Dyoula erkennbar
macht. In 8 haben wir es bereits mit einer autochthonen
afrikanischen Sprache zu tun. Hier endet die Varietätenzughörigkeit zum Französischen.
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