Soziale Merkmale der Sprecher
Wenn man die Soziolinguistik als die wissenschaftliche Disziplin bezeichnet,
die sich mit den Beziehungen zwischen Sprache und Gesllschaft befasst, steht aufgrund der der Komplexität
dieser Beziehungen und der damit Verbundenen Schwierigkeiten der Abgrenzung von sprachlichen Erscheinungen auf jeden
Fall im Mittelpunkt der Untersuchungen der Mensch, genau genommen der Sprecher einer oder mehrerer Sprachen.
Um die sozialen Merkmale und die Einbettung der Sprecher in die Sprachgemeinschaft(en) sowie die daraus
resultierenden Folgen für den Sprachgebrauch geht es primär in der Soziolinguistik. Vorläufer
Einer der Vorläufer kann in der Sozialdialektologie gesehen werden, die sich im Zuge der Erfassung von
Sprachatlanten Ende des 19. Jh. mit Sprachschichtung und dem Verhältnis von dialektaler
Varietät und Standardvarietät beschäftigt hat. Hierbei ging es jedoch in
erster Linie um das Sammeln von Sprachdaten, weniger um eine Beschreibung der Beziehung zwischen
den sprachlichen Individuen und ihren Daten.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte man sich bereits mit dem Studium der Wechselwirkung zwischen Sprach- und Gesellschaftskultur. Seinen zweifelhaften Höhepunkt erlebte diese Beschäftigung mit der Abhängigkeit von Wahrnehmung und Erkenntnis von der Sprachstruktur in der Sapir-Whorf-Hypothese, die man im Ansatz bereits bei Humboldts sprachlicher Brillenthese finden kann. Die von Uriel Weinreich Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts konzipierte Kontakt-linguistik kann als Ausgangspunkt für zahlreiche soziolinguistische Fragestellungen betrachtet werden. |
SprachbarrierenforschungDie Geburtsstunde der eigentlichen Soziolinguistik schlug mit Bernsteins Kodetheorie. Bernstein unterschied 1971 zwei zentrale Begriffe, den restringierten und den elaborierten Kode, der jeweils an sozialen Parametern festzumachen war und brisante Folgerungen in Bezug auf Erziehungserfolge zuließ. Die Forderung nach einem kompensatorischen Unterricht war eine der Folgen, die die soziale Schieflage korrigieren sollte. Eine Fülle von meist empririschen Studien war das Resultat von Bernsteins Anregung und der Begriff der Soziolinguistik hielt Einzug in den Etagen politischer Entscheidung.Dialektsoziolinguistik und KreolistikIn der Folgezeit waren es vor allem zwei Untersuchungsbereiche, die die Soziolinguistik interessierte, die Dialektsoziologie, die Dialektalbarrieren und die Verteilung von Dialekt und STandardvarietät in der Gesellschaft untersuchte und die Forschung zu Pidgin- und Kreolsprachen, die sich im Rahmen der Kreolistik mit der Entstehung und Veränderung von Kreolsprachen beschäftigte.SprachpolitikEng damit verknüpft waren die daraus resultierenden Forschungen zum Spracherhalt, Sprachentod und zur Sprachpolitik. Analysen der sprach-politischen Situation in mehrsprachigen Gebieten waren der Anlaß zu Arbeiten wie der in Frankreich richtungsweisenden von L. J. Calvet, Linguistique et colonialisme, petit traité de glottophagie (1974).Sprachenplanung, Varietätenlinguistik und MinderheitenforschungHieran schlossen sich Forschungen zur Sprachenplanung (z.B. Normalisierung des Katalanischen), zur Standardisierung von Sprachen und Dialekten (z.B. die Diskussion um das Galego) und zur Erforschung der Einstellung (Attitüden) von Individuen und Sprachgemeinschaften gegenüber Varietäten, Amtssprachen, Zweisprachigkeit und Multilingualismus. Die Minderheitenforschung beschäftigte sich mit Fragen der Sprachunterdrückung und Sprachkonflikten und ihren Ursachen.Gender StudiesEin weites Forschungsfeld tat sich im Zusammenhang mit der feministischen Linguistik auf: Die Erfahrungen der sprachlichen Schichtenunterschiede (Defizit- und Differenz-hypothese) liess die Frage nach der Diskriminierung der Frauen durch Geschlech-terunterschiede in sprachlichen Strukturen aktuell werden. In Frankreich fand die Bewegung ihren Ausgangspunkt mit der Arbeit von Marina Yaguello, Les mots et les femmes (1978) und löste eine wahre Lawine von Untersuchungen zum Sexismus in den Sprachen aus. |