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Die sprachkoloniale Ausbreitung
Das Lateinische, das zunächst über das heutige Italien und im Laufe der kolonialen Ausbreitung des Imperium Romanum über beinahe ganz Europa verbreitet wurde, traf überall auf weitere autochthone Sprachen und Kulturen.
Die areale, d.h. geographische Ausbreitung des gesprochenen Lateins lässt sich an der Kolonialgeschichte Roms und auch an der Verbreitung der romanischen Sprachen in Europa (und im gesamten Mittelmeerraum) sehr gut nachvollziehen.
Die zeitliche Sukzession der sich über 300 Jahre erstreckenden Inbesitznahme (Sizilien und Sardinien als erste Kolonien, Dakien als letzte Kolonie) spielte bei der Varietätenbildung ebenso eine entscheidende Rolle wie die geographische Distanz von Rom und dem Kernsiedlungsgebiet Latium, wie der Grad der Urbanisierung der Provinz (besonders hoch in der Gallia Narbonensis, niedrig in Dakien) und die Beschaffenheit (Hetero- oder Homogenität) der unterjochten autochthonen Sprachgruppen. Schließlich ist die Dauer der Kolonisation von wesentlicher Bedeutung ebenso wie der Intensitätsgrad der wirtschaftlichen und militärischen Präsenz der römischen Eroberer. Diese Parameter sind relevant für die individuelle Ausprägung der jeweiligen Varietät.
Die koloniale Ausdehnung wurde durch Ansiedlung von militärischen Garanten abgesichert. Diese Siedler (coloni) gehörten in aller Regel nicht zur sprachlichen Elite des Landes. Sie verfügten meist nur über die mündliche Sprachkompetenz ihrer Heimat und brachten die dialektalen Gewohnheiten ihrer Region mit in das neue Siedlungsgebiet.
Die größte Volksgruppe, auf die die Römer bei ihrer militärischen Expansion über die Grenzen der Halbinsel hinaus trafen, waren die Kelten . Sie hatten sich vom südwestlichen Mitteleuropa aus auf die britischen Inseln, nach Südfrankreich und auf die iberische Halbinsel sowie über Oberitalien bis ins heutige Rumänien und Dalmatien ausgebreitet. Zu ihnen gehörten auch die Gallier, die ihre Artikulationsgewohnheiten in der lateinischen Fremdsprache besonders deutlich beibehielten. So gilt als sicher, dass die galloromanische Lautung ü [y ] wie z.B. im frz. mur, auf keltisches Substrat zurückzuführen ist.
Im Norden trafen die römischen Eroberer auch auf verschiedene germanische Stämme, die vom Norden her bis an Maas, Rhein und Mosel siedelten.
Östlich der Rhône, von der heutigen Provence bis in die Schweiz, siedelten die bereits genannten Ligurer. In diesen Gebieten sollten sich Varietäten entwickeln, die Basis für das Dolomitenladinische, das Friaulische, das Frankoprovenzalische, das Rätoromanische, und teilweise auch das Okzitanische wurden.
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Im heutigen Spanien trafen die Römer auf die Iberer, ein vermutlich aus Nordafrika stammendes Volk, das (neben den Kelten) Zentral- und Ostspanien und vor allem das Gebiet des heutigen Katalonien und den äußersten Süden Frankreichs besiedelte. Das südliche Spanien war bis 202 v.Chr., kurz vor Ende des 2. Punischen Krieges, von den Karthagern und vorher von den Griechen besetzt.
Im Norden Spaniens siedelten die Basken. Das Baskische ist die einzige vorrömische Sprache, die bis heute existiert.
Im Gebiet des heutigen Albanien lebten die bereits erwähnten Illyrer. Das heutige Albanisch geht direkt auf das Illyrische zurück, und auch in der rumänischen Sprache finden sich einige Wörter illyrischen Ursprungs. Das heute ausgestorbene Dalmatinische dokumentiert ebenfalls illyrisches Substrat. Schließlich trafen die Römer im heutigen Bulgarien und Rumänien auf das Volk der Daker, dessen Sprache das Rumänische beeinflussen sollte.
Die Verbreitung der modernen romanischen Kolonialsprachen und ihrer Varietäten in Gebieten außerhalb Europas zeigt eine Reihe von Parallelitäten in Sprach- und Systemwandel auf. Dies ermöglicht es, neben den arealen und den systematischen Aspekten auch soziolinguistisch relevante Gesichtspunkte für die sprachliche Veränderung und Varietätenbildung zu berücksichtigen, da hier eine Fülle von Daten vorliegen, die als Parameter für die soziolinguistische Beurteilung dienen können. Auf der Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse sind auch ältere Phänomene des Sprachwandels retrospektiv exakter zu bewerten.
Definition des Vulgärlateins:
Das Vulgärlateinische beinhaltet die Vielfalt der
Verietäten des auf dem gesamten Territorium des Imperium Romanum vom
Beginn der sprachlichen Kolonisation Roms im 2. Jh. v. Chr. bis
zum Ende des weströmischen Reichs im 5. Jahrhundert n. Chr. gesprochenen
Sprachkontinuums.
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