Der Einfluss des Griechischen

Das Griechische hatte mehr Einfluss auf die romanische Sprachenfamilie als man vielleicht annehmen mag. Bereits in seiner Frühzeit wurde das Lateinische von griechischen Termini geradezu übersät. Die ältere griechische Kultur war stets in Rom präsent und ihr Ansehen wuchs mit dem politischen Erstarken Roms. Bevor Griechenland den Römern die Modelle für Literatur, Philosophie, Wissenschaften und Kunst lieferte, waren es Griechen und Graekophone aus dem hellenistischen Orient, die sich als Seefahrer, Händler, Astrologen, Ärzte, Hauslehrer oder Kurtisanen von dem prosperierenden Rom angezogen fühlten.

Der älteste Einfluss stammt offensichtlich aus der Sprache der grie­chischen Seefahrer, die als nautae (íáýôçò) ihren ancora (Tãêõñá) gelichtet hatten, um ihr Schiff nach Rom zu gubernare (êõâåñíOí), zu lenken.  Als die Römer sich dann mit dem Meer vertraut gemacht hatten, kamen detal­liertere Kenntnisse über Tiere wie den delphinus (äåëößò), den t(h)unnus (èýííïò), die conc(h)a (êüã÷ç) und deren Edelprodukte wie die purpura (ðïñöýñá) genannte Purpurschnecke, deren Farbe die Gewänder römischer Senatoren zierte, hinzu. Die Errungenschaften griechischer Zivilisation überschwemmten Rom:

Die Küche Griechenlands führte die oliva (dëáßFá) ein, den aspara­gus (PóðÜñáãïò), das canna genannte Rohr (êÜííá), die camomilla (÷áìüìõëïí) und den absinthium (Pøßíèéïí) die in entsprechenden Behäl­tern wie der amp(h)ora oder der (dazu diminutiven) ampulla (Pìöïñåýò), dem saccus (óÜêêïò) oder der bursa (âýñóá)aufbewahrt wurden und mit Münzen (nummus íüìéìïò, íï™ìïò ) oder Talenten (talenta ôÜëáíôïí) be­zahlt in der Bodega (in Frankreich: Boutique) (apotheca PðïèÞêç) lager­ten. Zusammen mit Schwan (cycnus êýêíïò) und Kamel (camelus êÜìçëïò)  machten sich auch modische Kleidungsstücke und Schmuck wie die Stola (stola óôïëÞ), die Tiara (ôéÜñá), die Mitra (ìßôñá) und das coral­lium (êïñÜëëéïí), der smaragdus (óìáñÜãäïò) und beryllus (âçñýëëïò) ne­ben Marmor (ìÜñìáñïò) und Alabaster (PëÜâáóôñïò) auf den langen Weg (caminus êÜìéíïò) nach Rom.  Der Abacus (Tâáî) und auch das charta (÷Üñôçò) genannte Papier (ðÜðõñïò) war bei den angereisten Händlern be­liebt, in deren Gefolge sich neben  Athleten (PèëçôÞò), Mimen (ìsìïò), Chorsängern (÷ïñüò)  auch Chirurgen (÷åéñïõñãüò) befanden, die sich beim Klang von cymbalum (êýìâáëïí) und cithara (êéèÜñá) im Stadion (óôÜäéïí) oder Badehaus (bal(i)neum âáëáíåsïí) um Cholera (÷ïëÝñá) und Asthma (Wóèìá) kümmerten.

Das Griechische war in Mode, es wurde latinisiert, griechische En­dungen in lateinische konvertiert, verkleinert und nominalisiert, sodass man den Wörtern häufig die Herkunft nicht mehr ansah. Mit dem Einzug der Schönen Künste Griechenlands und der Literaturfähigkeit des Lateini­schen nahmen Hunderte von griechischen Ausdrücken lateinische Gestalt an. Die Poeten, Philosophen, Rhetoren, stoici, epicurei, academici, so­phistae beschäftigten sich mit Poemen, rhetorica, physica, dialectica, ethica, logica, etymologia in aula und academia, und nostrifizierten apostrophus und diphthongus.

Aus dem hellenistischen Orient schließlich kam mit der Christiani­sierung die Sprache der griechischen Evangelientexte in die Predigten und dadurch auch unter das Volk:

angelus, antichristus, apocalypsis, apostata, apostolicus, apostolus, au­thenticus, blasphematio, blasphemia, catechumenus, cathedra, catholicus, charisma, charis, christianismus, christianus, daemon, diabolus, diaconus, dogma, ecclesia, energema, episcopus (episcopatus), ethnicus, euange­lium, euangelizare, eucharistia, exorcismus, haeresis, haereticus, ido­latria, idolum, laicus, magia, martyr, martyrium, monachus, monasterium, mysterium, orphanus, parabola, paradisus, parochia, pascha, patriarchus, presbyter, propheta, prophetia, psalmus, pseudo-propheta, scandalum, scandalizare, schisma, stemma, synagoga

Oft ist es auch ein griechischer "Calque", der dem römischen Wort Vorbild war und dem Wort einen (oft zusätzlichen) griechischen Modell-Sinn verlieh, wie bei damnare (katakrínō êáôáêñßíù), fidelis, (pistós ðéóôüò), frater (adelfós Päåëöüò), praedicare (kērýssō  êçñýóóù) , scriptura (grafē´ ãñáöÞ), similitudo (parabolē´ ðáñáâïëÞ), trinitas (triás ôñéÜò), ver­bum (lógos ëüãïò), virtus (aretē´ PñåôÞ).

Griechisch war Synonym für Sprache der Bildung und der Wissen­schaft. Griechische Elemente zu übernehmen, galt als weltoffen und mo­dern. Das Griechische hatte deshalb auf dem marché linguistique der An­tike die Rolle und das Prestige des Englischen in unserer Zeit.

Neben den oben genannten Wörtern haben sich im Protoromani­schen vor allem die folgenden Elemente des Griechischen etabliert und in den romanischen Sprachen überlebt:

aer, ballare (I.Jh.), brac[c]hium, bursa*, caballus, calamus, camera, c[h]alare, cara (statt vultus ab VI.Jh.), cata,  charta, colaphus und col[o]pus, chorda, corona, crapula, cyma (cuma, cima für cacumen), en­caustum, grabatus, gubernare, lampas (lampada), machina, macellum, oleum, p(h)alanga, petra (neben saxum), podium, poena, punire, striga, tumba

 

 

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