Modellhafte Abbildung des Kommunikationsvorgangs

Erweitertes Kommunikationsmodell


Das erweiterte Modell versteht sich als Kritik an der Unvollständigkeit des ersten Modells. Gleichzeitig weist es auf Bereiche hin, die für die Linguistik von Forschungsrelevanz sind, will man eine adäquate Beschreibung von Sprache, ihrer Produktion, Übermittlung und Verständnis erreichen.  
Eine wichtige Voraussetzung für den Kodierungsprozess ist die strikte Trennung zwischen Sprach- und Wissensspeicher, die nicht immer selbstverständlich war. Für Studierende romanischer Sprachen ist es selbstverständlich, dass der Sprach- und Wissensspeicher zwar miteinander korrelieren, dass aber die beiden getrennt funktionieren: Auch wenn der Sprachspeicher in einer gerade neu zu erwerbenden Sprache noch gering ist, auf jeden Fall geringer als in der Muttersprache, ist doch der Wissensspeicher davon nicht tangiert. In jüngster Zeit weiß man mehr über die Abspeicherung von Sprache und Wissensrepräsentationen. Gerade der Mehrsprachige hat vielfältige netzwerkartige Bahnen zwischen seinem multilingualen Sprachspeicher und dem Wissensspeicher entwickelt. Das Faktum, dass Sprach- und Wissenspeicher bei Sender und Hörer grundsätzlich verschieden gestaltet sind, verdeutlicht, dass eine perfekte Übermittlung einer Botschaft gar nicht möglich ist. Es gibt also immer nur eine teilweise Übermittlung und ein partielles Verständnis von dem, was kodiert und gesendet wird.
Neben dem Sprach- und Wissensspeicher ist es vor allem die kommunikative Intention - ein Gebiet, mit dem sich die linguistische Pragmatik heute beschäftigt - und auf der Empfängerseite die entsprechende oder divergierende Erwartungshaltung, die den Kodierungs- wie Dekodierungsprozess entscheidend beeinflusst. 


EinfachesKommunikationsmodel2

Ferner wird bei diesem Modell deutlich, welche wichtigen Einflüsse beim Kodierungsprozess eine Rolle spielen. Das partnertaktische Programm ist dabei ein wichtiges Element aus dem Sozialverhalten, das deutliche Einflüsse auf den Kodierungsprozess hat. Man denke an die Möglichkeiten, die Sprachen besitzen, Männlichkeit und Weiblichkeit zu markieren, soziale Distanz oder Nähe auszudrücken und ähnliche Phänomene.
Auch die psycho-physische Verfassung des Senders wie des Empfängers ist von erheblicher Bedeutung für den kommunikativen Ablauf. In einer angespannten Prüfungssituation verhält man sich verbal oft anders als in einer entspannten Alltagssituation. Stressfaktoren bestimmen die Prozesse von Kodierung und Dekodierung. 
Äußere situative Faktoren schließlich können von entscheidender Bedeutung für den Gesamtprozess sein. Dabei handelt es sich nicht nur um Lärm, der kommunikationsstörend sein kann, ein offenes Fenster, der Klassenraum, die feierliche Atmosphäre bei einem festlichen Ereignis, eine erotisierende Umgebung, Musik, Narkotika, all diese Phänomene können Einfluss nehmen.   

Das als Kritik an dem vereinfachten Modell gedachte Erweiterungsmodell verdeutlicht, dass die Linguistik zur Deskription von sprachlicher Kodierung eine Vielzahl von anderen Disziplinen benötigt, mit denen sie kooperieren muss, um eine adäquate Beschreibung zu erreichen. Hier ist die Geburtsstunde für die vielen in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstandenen linguistischen Disziplinen zu sehen, die manche Theoretiker gerne als "Bindestrich-Linguistiken" abgetan haben. Das Modell zeigt deutlich Bedürfnisse linguistischer Beschreibung auf, es weist auf die Lücken hin, die sich auftun, wenn man Sprachwissenschaft auf die Beschreibung des Kodierungs- und Dekodierungsprozesses im Bereich von Phonetik und Phonolige, Morphemik und Morphologie, Syntax und Semantik beschränkt. Der nicht zu erreichende Idealfall wäre eine modellhafte Beschreibung des sprachlichen Kodierungsprozesses als Ablauf, den man in einem kybernetischen Modell nachvollziehen kann. Sprache wird dann verstanden als eine menschliche Kodierungsfähigkeit, die in soziale Gesetzmäßigkeiten eingebettet ist. Dies wurde mit dem Aufkommen der Soziolinguistik versucht.      

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